Der Personalmangel in der Pflege spitzt sich in Deutschland zu. Wir beleuchten die Ursachen und zeigen Lösungsansätze auf.

Die Problematik dürfte bekannt sein: In Deutschland gibt es zu wenig Pflegepersonal. Gleichzeitig gibt es immer mehr ältere, pflegebedürftige Menschen. Ein Dilemma, für das aktuell kaum Besserung in Sicht ist. Die Ursachen und mögliche Lösungen für den Personalmangel in der Pflege beleuchten wir im Folgenden.
Laut Statistischem Bundesamt werden bis zum Jahr 2049 voraussichtlich bis zu 690 000 Pflegekräfte fehlen. Doch schon jetzt ist der Mangel spürbar.
One Opinion poll von Diakonie und des Evangelischen Verbands für Altenpflege (DEVAP) zeigt, dass 2023 vier von fünf Pflegeeinrichtungen aufgrund von Personalmangel ihr Angebot reduzieren mussten. So konnten 72 Prozent der Pflegeheime nicht mehr sämtliche Leistungen anbieten, und 89 Prozent der ambulanten Pflegedienste waren gezwungen, neue Patienten abzulehnen. Dies führt dazu, dass viele pflegebedürftige Menschen keine notwendige Betreuung erhalten.
Für das Recruiting ist die Personalbeschaffung in diesem Bereich besonders herausfordernd. Es dauert laut Rechnungen der Bundesanstalt für Arbeit aktuell 230 Tage, bis die Stelle einer Krankenpflegefachkraft besetzt werden kann, und 210 Tage für die Stellenbesetzung einer Altenpflegefachkraft.
Zum Vergleich: Je nach Branche ist die Time-to-Hire natürlich unterschiedlich – im Netz kursieren jedoch Durchschnittswerte von etwa 120 Tagen, die für die Besetzung einer Stelle üblicherweise benötigt werden.
Der Pflegenotstand in Deutschland ist keine plötzliche Krise, sondern das Ergebnis langjähriger struktureller und gesellschaftlicher Entwicklungen. Um die Herausforderungen anzugehen, ist es entscheidend, die zugrunde liegenden Ursachen zu verstehen. Diese liegen vor allem in einer alternden Bevölkerung, den Arbeitsbedingungen, finanziellen Aspekten und der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Pflegeberufs.
Alternde Bevölkerung: Die deutsche Gesellschaft wird immer älter, und mit der zunehmenden Lebenserwartung steigt auch der Bedarf an Pflegekräften. Bereits heute leben mehr ältere Menschen mit chronischen Krankheiten und Pflegebedarf als je zuvor. Die Pflegeinfrastruktur kann mit diesem demografischen Wandel kaum Schritt halten. Während die Zahl der Pflegebedürftigen wächst, schrumpft die Anzahl der potenziellen Arbeitskräfte, die diese Versorgung übernehmen könnten. Dies führt zu einem unausgewogenen Verhältnis von Bedarf und Angebot in diesem Bereich.
Hohe Arbeitsbelastung: Pflegekräfte arbeiten oft unter extremen Bedingungen, die sowohl physisch als auch psychisch fordernd sind. Schichtdienste, Überstunden und der permanente Zeitdruck, allen Patienten gerecht zu werden, sorgen für Stress und Erschöpfung. Dabei bleibt kaum Raum für die eigentliche Aufgabe der Pflege: zwischenmenschliche Zuwendung und individuelle Betreuung. Die Folge ist nicht nur eine geringere Arbeitszufriedenheit, sondern auch ein erhöhtes Risiko für Burnout und langfristige Erkrankungen.
Niedrige Bezahlung: Trotz der hohen Verantwortung und Belastung zählt die Pflege zu den schlechter bezahlten Berufen in Deutschland. Viele Pflegekräfte verdienen kaum mehr als den Mindestlohn, insbesondere in der Altenpflege. Dieses Missverhältnis zwischen der gesellschaftlichen Relevanz des Berufs und der finanziellen Anerkennung macht die Branche unattraktiv, was wiederum zu einem Mangel an Nachwuchs und Quereinsteigern führt.
Mangelnde Wertschätzung: Pflegekräfte erfahren oft zu wenig Anerkennung für ihre Arbeit – sowohl von der Gesellschaft als auch von politischen Entscheidungsträgern. Obwohl ihre Bedeutung in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie kurzzeitig mehr Beachtung fand, sind nachhaltige Veränderungen ausgeblieben. Diese fehlende Wertschätzung spiegelt sich nicht nur in der Bezahlung, sondern auch im gesellschaftlichen Image des Pflegeberufs wider, das häufig mit wenig Prestige verbunden ist.
Hohe Fluktuation: Die Kombination aus schlechten Arbeitsbedingungen, niedriger Bezahlung und fehlender Wertschätzung führt zu einer hohen Fluktuation in der Pflegebranche. Viele Pflegekräfte verlassen ihren Beruf nach wenigen Jahren, sei es aufgrund von Überlastung oder weil sie in anderen Branchen bessere Arbeitsbedingungen finden. Dieser ständige Personalwechsel erschwert nicht nur die Kontinuität der Versorgung, sondern erhöht auch den Druck auf die verbleibenden Fachkräfte, was den Kreislauf weiter verstärkt.
Der Pflegenotstand erfordert umfassende Lösungen, die nicht nur Symptome bekämpfen, sondern die Struktur des Gesundheits- und Pflegewesens nachhaltig verbessern. Mit einem Mix aus innovativen Ansätzen und gezielter Unterstützung können Politik, Unternehmen und Gesellschaft den Mangel an Fachkräften entschärfen. Die folgenden Ansätze bieten konkrete Handlungsfelder.
Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte bleibt ein Schlüssel zur Lösung des Personalmangels. Hierfür sollten bürokratische Prozesse deutlich gestrafft werden, insbesondere bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Neben einem zentralisierten Online-System könnten One-Stop-Agenturen eingerichtet werden, die Bewerber durch den gesamten Prozess begleiten. Sprachbarrieren lassen sich durch staatlich geförderte Sprachkurse im Herkunftsland und digitale Lernprogramme vor der Einreise reduzieren. Arbeitgeber könnten Patenschaftsprogramme einführen, bei denen bestehende Teams neuen Kollegen helfen, sich in den Arbeitsalltag und die Kultur einzufinden. Solche Maßnahmen erfordern eine enge Kooperation zwischen der Politik und den Pflegeeinrichtungen, um nachhaltig attraktiv für internationale Fachkräfte zu werden.
Um Arbeitskräfte langfristig zu binden und Überlastung vorzubeugen, sollte der Fokus stärker auf der Gesunderhaltung des Personals liegen. Präventionsprogramme wie regelmäßige physische und psychische Gesundheitschecks könnten verpflichtend eingeführt werden, finanziert durch Krankenkassen und Arbeitgeber. Ergonomische Arbeitsmittel und digitale Hilfsmittel, wie automatisierte Pflegedokumentation, könnten ebenfalls dazu beitragen, die körperliche und mentale Belastung zu reduzieren. Unternehmen könnten zusätzlich Wellbeing-Programme entwickeln, die beispielsweise flexible Erholungszeiten oder Zugang zu Mental-Health-Coaches bieten. Die Politik könnte dies durch steuerliche Anreize für Unternehmen fördern, die in Gesundheitsmanagement investieren.
Moderne Technologien können dazu beitragen, den Arbeitsalltag zu entlasten und die Effizienz zu steigern. Automatisierte Systeme, wie Hebe- und Tragehilfen, könnten körperlich anstrengende Tätigkeiten reduzieren, während digitale Lösungen bei der Dokumentation Zeit sparen. Auch KI-gestützte Systeme könnten pflegerische Prozesse optimieren, etwa bei der Organisation von Dienstplänen oder der Überwachung von Vitaldaten. Bund und Länder müssten gezielt Innovationsförderungen auflegen, um die Einführung solcher Technologien für Pflegeheime und Kliniken erschwinglich zu machen. Unternehmen könnten wiederum Pilotprojekte starten, um ihre Praxistauglichkeit zu testen und kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Pflege sollte stärker als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden werden, die durch lokale Netzwerke besser organisiert werden kann. In sogenannten Pflege-Allianzen könnten Kommunen, Unternehmen und Vereine zusammenarbeiten, um regionale Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Solche Netzwerke könnten beispielsweise ehrenamtliche Helfer in die Betreuung einbinden oder den Zugang zu ambulanten Diensten verbessern. Auch könnten spezielle Programme für Berufsrückkehrer, wie Eltern nach der Familienzeit, oder Quereinsteigende in solchen Allianzen entwickelt werden. Der Bund sollte hierfür Fördermittel bereitstellen, während Kommunen für die Umsetzung vor Ort verantwortlich wären.
Die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in der Pflegebranche könnten deutlich erweitert werden, um mehr Menschen langfristig im Beruf zu halten. Denkbar wären neue Spezialisierungen, etwa für digitale Pflegeassistenz oder Schmerzmanagement, die zusätzlich vergütet werden. Auch ein gestuftes Karrieresystem – ähnlich wie in der Medizin – mit klaren Aufstiegsmöglichkeiten könnte die Attraktivität steigern. Dies erfordert jedoch eine Überarbeitung der Ausbildungs- und Weiterbildungsstrukturen, was in die Verantwortung von Berufsverbänden und Bildungseinrichtungen fällt. Die Politik könnte durch finanzielle Unterstützung solche Programme anschieben und den Zugang zu Fortbildungen erleichtern.
Einer der Hauptgründe für den Personalmangel ist wie bereits geschildert die Überlastung der Beschäftigten. Um dies zu ändern, müssen Arbeitszeitmodelle flexibler gestaltet und die Personalbemessung an den tatsächlichen Bedürfnissen der Patienten orientiert werden. Die Einführung eines verbindlichen Personalschlüssels, der klare Vorgaben für die Mindestanzahl an Fachkräften pro Schicht festlegt, wäre ein zentraler Schritt. Solche Vorgaben könnten von der Politik geregelt und überwacht werden. Arbeitgeber wiederum sollten stärker in Arbeitszeitmanagement und technische Unterstützung investieren, um den Alltag der Mitarbeiter zu erleichtern. Darüber hinaus sind Maßnahmen wie finanzierte Weiterbildungen und zusätzliche Erholungszeiten wichtig, um die Attraktivität der Berufe nachhaltig zu steigern.
Die Vergütung in Pflegeberufen muss steigen, um sie wettbewerbsfähig mit anderen Branchen zu machen. Hier sind sowohl die Arbeitgeber als auch die Kostenträger wie Krankenkassen gefordert. Tarifverträge, die verbindlich für alle Anbieter gelten, könnten eine faire Bezahlung sicherstellen. Die Politik könnte durch gesetzliche Vorgaben und Förderprogramme Anreize für eine bessere Entlohnung schaffen, insbesondere in der Altenpflege, wo die Gehälter häufig noch niedriger sind als in der Krankenpflege. Solche Reformen erfordern jedoch eine enge Abstimmung zwischen Bund, Ländern und privaten Trägern, da finanzielle Mehrkosten auf verschiedene Schultern verteilt werden müssen.
Die vorgestellten Lösungsansätze zeigen, dass es Wege aus dem Pflegenotstand gibt – allerdings erfordern sie Entschlossenheit, Investitionen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Pflegeeinrichtungen und der Gesellschaft. Einige Maßnahmen, wie die Digitalisierung oder die Anwerbung ausländischer Fachkräfte, könnten relativ schnell Wirkung zeigen, wenn sie konsequent umgesetzt werden. Andere, wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder der Ausbau von Karrierewegen, sind langfristige Projekte, die strukturelle Veränderungen im gesamten Gesundheitssystem voraussetzen.
Dennoch bleibt Raum für weitere Ansätze. So könnten beispielsweise stärker integrative Konzepte entwickelt werden, bei denen pflegende Angehörige oder ehrenamtliche Unterstützer gezielt entlastet und gefördert werden. Auch Prävention, etwa durch gesundheitsfördernde Maßnahmen in der gesamten Bevölkerung, könnte die Pflegebedürftigkeit langfristig reduzieren.
Entscheidend ist, dass der Pflegenotstand jetzt als Priorität behandelt wird. Politik und Wirtschaft müssen schneller handeln, Innovationen fördern und neue Allianzen schmieden, um die bestehenden Lücken zu schließen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Pflegeberuf nicht nur als essenziell anerkannt wird, sondern auch die Wertschätzung und Unterstützung erhält, die er verdient.